Die Sachen sind gepackt, noch ein schönes Frühstück im Café nebenan und dann wieder die leidige Bahnsteiggeschichte. Aber es scheint alles zu stimmen, zumindest dem Fahrgastaufkommen nach. Nur dass kein Zug kommt.
Eine halbe Stunde nach der geplanten Abfahrtszeit werde ich doch etwas nervös, schließlich habe ich in Berlin nicht so furchtbar viel Zeit zum Umsteigen. Bin ich wirklich richtig? „Tak, tak, do Berlina“ wird mir von den Umstehenden versichert. Ich weiß nicht, ob ich nach dem Dyplom für Stufe 1.1 der polnischen Sprache wirklich alles glauben soll, was ich zu verstehen meine.
Und dann fährt er endlich ein. Der Zug nach Prag. Mir wird abwechselnd heiß und kalt, ich glaube ich hab’s verbockt. Was jetzt? Der Zug nach Berlin geht nur einmal am Tag. Zurück ins Hotel, morgen ein neuer Versuch? Oder Ruhe bewahren, wie etwa die Hälfte der noch verbliebenen Reisenden?
Letzteres erweist sich als die richtige Lösung, der Zug nach Berlin kommt mit 45 Minuten Verspätung doch noch. Es ist auch schnell klar, wie diese Verspätung zustande kommt: Jeder Ticketinhaber hat auch einen reservierten Sitzplatz. Nur dass keiner weiß, wo der dazugehörige Wagen hält. Da sind manche Sachen bei den durchorganisierten Deutschen schon nicht verkehrt, so eine Wagenstandsanzeige zum Beispiel.
Also steigen alle irgendwo ein, mit Taschen, Tüten, Koffern, Kindern, Hunden und Katzen. Und müssen sich dann mitsamt dem ganzen Geraffel durch die engen Gänge in Richtung ihrer Sitzplätze zwängen. In beiden Richtungen versteht sich. Innerhalb kürzester Zeit steckt alles fest, die Hälfte der Mitreisenden steht noch draußen auf dem Bahnsteig. Bis alles in den Gepäckfächern verstaut ist und wir weiterfahren können, vergeht locker eine halbe Stunde und ich sehe nicht, wie ich meinen Anschluss in Berlin noch bekommen soll.
Aber nun habe ich viele Stunden Zeit und obwohl die Internetanbindung in polnischen Zügen so schlecht ist wie die in Deutschland, gelingt es mir, ein neues Ticket für den Anschluss rauszulassen. Schade nur um das Upgrade für die erste Klasse, das mir vom Bahnmarketing bei der ursprünglichen Buchung noch in letzter Sekunde angedreht wurde. Das war dann wieder mal ein nur vermeintliches Schnäppchen.
Erstattung brauche ich auch nicht beantragen: Die Hinfahrt ließ sich zwar komplett über bahn.de buchen, die Rückfahrt aus Polen aber merkwürdigerweise nicht. Also ist genaugenommen die PKP schuld an der Verspätung. Mal sehen, vielleicht probiere ich es trotzdem noch. Bisher habe ich noch bei mindestens 80% meiner nicht allzu häufigen Bahnreisen Geld zurückbekommen. Weiß nicht, wieso ich es mit dem Bahnfahren trotzdem immer wieder probiere.
Aber wenigstens sollte ich noch vor Mitternacht in Bremen ankommen, das wäre gar nicht schlecht.
Die Fahrt durch Polen ist gewohnt langweilig. Flaches Land, um diese Jahreszeit graubraun und öde. Riesige Felder und abgewrackte Hinterhöfe und Vorstädte. Der Zug ist brechend voll, sicher die Hälfte sind Ukrainer auf der Flucht. Aber es hat fast jeder seinen Platz. Der allerdings fällt äußerst spartanisch aus. Auf der Hinfahrt nach Krakau wurde mir vorgegaukelt, dass ich völlig umsonst Geld für die erste Klasse ausgegeben hätte: In der zweiten schicke kleine Abteile mit wenig Sitzen, da muss man das nächste Mal doch nicht mehr so tief in die Tasche greifen, oder?!
Das wiederum sollte man sich bei 8 Stunden Bahnfahrt doch sehr gut überlegen, schön blöd. Von gemütlichen Abteilen ist nichts mehr zu sehen und ich habe einen Viererplatz erwischt. Mist. Die Abstände an dem Minitischchen sind so gering, dass man sich einfach gar nicht bewegen kann, ohne jemanden anzurempeln. Nach Stunden tun mir die Knie weh und ich kann sie nicht einmal ein bisschen ausstrecken. Da stehe ich dann lieber die letzte Stunde.
Wenn es dann nur noch eine Stunde wäre. Ich verfolge auf google.maps den Fahrtverlauf und die verbleibende Strecke bis Berlin. Und werde immer unruhiger, es wird immer knapper: Wir müssen aufgrund unserer Verspätung immer häufiger irgendwo auf freier Strecke halten, bis der Gegenzug passiert hat. Anstatt mal richtig Gas zu geben, um die Verspätung wieder reinzuholen. An den wenigen Bahnhöfen das übliche Spiel beim Einsteigen. Ich suche schon mal nach weiteren alternativen Anschlüssen. Nach Mietwagen. Nach Fahrten über Wladiwostok und Klein-Muckelsdorf. Das wird echt richtig knapp.
Endlich kommen wir an der Grenze an, aufatmen, Frankfurt/Oder. Hätte nicht gedacht, dass ich mich nochmal drüber freue da hinzukommen, danach würde die Bahn ja richtig Gas geben. Aber dann geht einfach gar nichts mehr: Die Bundespolizei entert den Zug und kontrolliert jeden Einzelnen. Also der erste Polizist kontrolliert, der zweite hat einen Block in der Hand und macht ein Strichlein bei der entsprechenden Nationalität. Digital sozusagen. Null, Eins.
Draußen ist Willkommenskultur. Ein Spaßvogel vom DRK Ortsclub Irgendwas-Land schäkert mit den Ukrainerinnen und macht sich zum Affen. Eine einsame Tierschützerin mit einem Bauchladen bringt Futter für die mitreisenden Tiere. Wir bekommen alle Wasser (auch schon vorher von der Polnischen Bahn PKP, das muss man ihnen lassen). Und eine Tüte mit Proviant, belegtem Sandwich, Apfel, O-Saft, kleiner Keks. Das tut ganz gut, weil mein Vorrat auch schon lange aufgebraucht ist. Vielleicht hätte ich mir gleich zu Beginn einen Platz im Speisewagen erkämpfen sollen, um dort an der Vernichtung der polnischen Biervorräte mitzuarbeiten.
Als die Beamten zur Hälfte mit ihrer Erfassung fertig sind, beschließen die Bundesbahnkoordinatoren, dass es Zeit wird umzusteigen. Die Polizei bekommt Krämpfe: „ihr könnt doch nicht, wir sind doch noch gar nicht durch, die müssen hier im Wagen bleiben“. Nun ja. Zwei Polizisten gegen einen vollen Zug funktioniert nicht wirklich. Es gibt sehr viel hin und her über das Ziel des Zugs, in englisch-polnisch-ukrainischem Mixmax.
Ganz klar, man will die Flüchtlinge dazu bewegen, bitte weiterzufahren aber bitte nicht nach Berlin. Berliner Auffangstellen sind voll. (Leute, fahrt doch mal nach Krakau, dann wisst ihr was voll ist!) Also sollen sie mit dem Sonderzug auf dem Nachbargleis über Hannover nach Frankfurt/Main fahren.
Die Mehrzahl lässt sich überzeugen, nur die mit einem konkreten Ziel in Berlin oder Hamburg fahren weiter in unserem Zug. Ich darf aber leider nicht nach Hannover mitfahren, der Zug der eigens engagierten Centralbahn bleibt ausschließlich den Flüchtlingen vorbehalten.
Schade, damit hätte ich in Hannover umsteigen können und es noch in dieser Nacht bis Bremen geschafft. Außerdem hätte ich es trotz aller Widrigkeiten sehr geil gefunden, nochmal in einem Zug aus meiner Jugend unterwegs zu sein. Fenster, die man runtermachen kann. Türen, die während der Fahrt zu öffnen sind. Ein Heizungsventil, an dem jeder nach gutdünken rumdrehen kann. Toll, richtig wie früher!
So bleiben wir also zwei Stunden in Frankfurt hängen. Keine Chance mehr, auch nur einen halbwegs sinnvollen Anschluss nach Bremen zu bekommen. Die Bahn schätzt meine Ankunft auf 4 Uhr morgens, mit zwei Stunden Übernachtung auf Hannovers Bahnsteigen . Und dann bin ich auch langsam k.o. und gebe auf. Ich werde froh sein, wenn ich endlich in Berlin bin und die Fahrt dort beenden kann.
Und nein, es muss diesmal keine Billigabsteige irgendwo dreiundachtzig Meilen vom Hauptbahnhof entfernt sein. Weil man da 20 Euro spart. Ein schönes Hotel in direkter Nähe des Bahnhofs passt schon und nach einem eisgekühlten Bier sinke ich um 23 Uhr ins Bett. Ich bin auch nicht so richtig fit, die Klimaanlage hat mir den ganzen Tag ins Gesicht gepustet. Dachte ich.
Am nächsten Morgen gönne ich mir noch eine Mini-Rundfahrt mit dem Scooter. Das mache ich gerne in fremden Städten, ist eine tolle Sache. Ich kenne das Regierungsviertel schon von meinem letzten Besuch und so gibt’s da auch nicht viel neues zu sehen oder gar zu berichten. Olaf ist wieder mal nicht da, wie sich auch Angie nie hat sehen lassen, wenn ich mal vor ihrem Haus stand.
Kein Wunder, er hat mal wieder die ganze Nacht mit irgendwelchen Verhandlungen zugebracht. Vielleicht sollte man das abstellen. Die Leute sollen sich zu einer vernünftigen Zeit ein Bierchen nehmen und dann zu Bett gehen. Und am nächsten Tag kann man dann weitersehen. Nächtliche Diskussionen haben in meinem Umfeld jedenfalls noch nie irgendwas gebracht.
A propos scooter. Das muss ich hier noch los werden: In Krakau läuft das absolut geordnet. Die Stadt hat Parkzonen eingerichtet, an denen man einen Scooter ausleihen kann. Und ihn an so einem Platz auch wieder abstellen muss, sonst läuft das Ticket weiter. Nervt teilweise, weil man seine Fahrt nicht am gewünschten Ziel beenden kann. Aber die Ordnung ist super. Niemand stolpert irgendwo über die Teile. Vielleicht ist auch einfach die Deppendichte, die es lustig findet, die Scooter umzuwerfen, in Bäume und Bäche zu schmeißen, eher dünn. Die Dinger werden einfach dafür genutzt, wozu sie gedacht sind. Wieso ist das bei uns nicht möglich?
Die restliche Heimreise ist unspektakulär. Irgendwann bin ich fast am Ziel, über viele Stunden habe ich die tausend Kilometer nach Hause geschafft. Da kommt zu guter Letzt eine unschöne message: Nele, unser geliebter Hund, hat sich ziemlich übel verletzt. Also direkt vom Zug ins Auto und in die Praxis. Narkose, flicken. Es wird sicher alles gut. An manchen Tagen hat man die Schnauze voll.
Und in den nächsten auch: Mein Kratzen im Hals hat sich letztlich zu einer veritablen Erkältung entwickelt und natürlich ist es COVID. Quarantäne. Meine Lebensgefährtin war einen Tag später ebenfalls symptomatisch. Obwohl sie nur auf einem Markt und ansonsten zuhause war. Wir sind durchgeimpft und geboostert sind. Das kann ja alles heiter werden.
Heute, 10 Tage später, geht es allen Beteiligten wieder gut. In regelmäßigen Abständen bestelle ich für die Tierhilfe am Krakauer Bahnhof Sachspenden, der Flüchtlingsstrom scheint ja nicht abzureißen. Ich hoffe, dass sie durchhalten!
Dann ist die Reise hier erstmal zu Ende. Danke für’s mitfahren und dann bis zum nächsten Mal!
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