Eine Fahrt in die Ukraine (3)

Von Tscherwonohrad nach Zhytomyr

Heute geht es von Tscherwonohrad nach Zhytomyr

Nachdem ich Volodymyr also doch noch glücklich gefunden habe, ist das „Hallo“ groß. Wir kennen uns nicht, hatten nur kurz über Whatsapp Kontakt. Aber es fühlt sich an, als ob man nach langer Zeit wieder bei einem Freund wäre. Easy und entspannt. Volodymyr ist nach Kriegsbeginn von Nordenham, wo er seit 20 Jahren lebt, wieder zurück in die Ukraine und organisiert seither Hilfe für die Menschen und die Soldaten im Osten. Die Wohnung ist die alte Wohnung von damals. Sie stand mehr oder weniger leer, ein Onkel hat sich ein bisschen gekümmert. Sehr schön sind die nostalgischen Bordüren an den Wänden. Die Zeitungen von damals liegen auch noch an ihrem Platz. Und auch die Einrichtung ist eher einfach. Das interessiert mich aber nicht. Ich konnte mir die Zähne putzen und wir haben Kaffee getrunken, das ist die Hauptsache. Und ein süßes kleines Kätzchen hat hier auch ein neues Zuhause gefunden. Die Wohnung ist voll mit Hilfsmitteln, die nicht im großen Lager (wo gerade 40 t Lebensmittel und Futter angekommen sind) Platz haben. Konserven, vakuumiertes Brot, Verbandsstoffe.

Mein Auto ist voll, aber ich habe einige hundert Mullbinden und Dreieckstücher für seine Medikits dabei. Und muss den freigewordenen Platz mit Medikamenten, vakuumiertem Brot und Oliven für Charkiv auffüllen. Was haben mich diese Dosen genervt, bis ich endlich da war! Immer im Weg, genauso wie die blöden Brottüten. In Charkiv werden mich seine Freunde erwarten, die die ganzen Sachen dann in die entbesetzten Gebiete bringen. Ich weiß ja nicht, wieso sie nicht sagen „befreite Gebiete“. Nun gut. Sie bezeichnen die besetzten Gebiete ja auch als „vorübergehend besetzt“. Das trifft es hoffentlich genau. Den Transport will ich selbstverständlich gerne machen. Macht ja auch Sinn jeden Millimeter auszufüllen und keinen Tropfen Sprit sinnlos zu verfahren.

Straßenhund
Man hat dem Straßenhund unterm Kioskfenster  ein kleines aber komfortables Plätzchen gemacht. Er weiß es zu schätzen 😉

Nachdem wir hin und her geräumt haben, ist es Zeit für einen kleinen Bummel. Zunächst zur Wechselstube. Ich hab’s erst nicht kapiert, dachte wir stehen am Geldautomaten an. Aber in einer Nische im Einkaufszentrum ist eine kleine Durchreiche, da kann man Euros reinschieben und bekommt Hrywnja raus. Oder Griwna. Je nachdem, wie man die Kyrillik übersetzt. Man bekommt jedenfalls eine ganze Menge Scheine. Das ist sehr schön und vermittelt einen gewissen Eindruck von Reichtum 😉

Dann geht es weiter zum Telefonladen. Ich brauche Internet zwingend, die gesammte Kommunikation mit meinen Spendenempfängern und der USAVA läuft über facebook und whatsapp. Außerdem möchte ich gerne mitbekommen, wenn die Luftalarm-app Luftalarm gibt und für die Navigation ist es auch besser. Also 4 € hinlegen und 20 GB Daten + 800 Minuten Telefon dafür bekommen. Die freundliche Oma, die hinter uns ansteht, leiht Volodymyr mal eben ihre Haarnadel, damit wir die Karte in meinem Handy tauschen können.

Und weiter. Zum nächsten Telefonladen, diesmal Vodafone. Da die Preise ja sehr überschaubar sind, macht es Sinn, auch hier noch eine Karte rauszulassen. Dann hat man mit ziemlicher Sicherheit immer ein Netz zur Hand. Bei uns in Deutschland bekommt man für dieses Geld mit etwas Glück gerade mal einen Kaffee. Aber internettechnisch sind wir ja schon immer abgezockt worden. Als man sich in den 90ern in den USA schon kostenlos ins örtliche Netz einwählen konnte (erinnert Ihr Euch noch an die Modems? Prrprr,düdüdü,chrkchrkchrk, brrbrr, düdelüdeldüüdel…) mussten wir immer noch horrende Minutenpreise für jede Verbindung ins Internet bezahlen.

Tja. Und heute wundern sich alle, dass die Ukrainer topfit sind, was IT angeht und wir nicht. Ein großes Problem hier: Die fähigen Leute verlassen das Land und suchen ihr Glück anderswo. Nicht in Deutschland, der Bananenrepublik. USA, Kanada, Großbritannien. Und Polen natürlich. Da hat man vielleicht Verwandte und kann mit einer guten Ausbildung leicht Fuß fassen. Wer von denen wird später trotz einer guten Karriere und einem hervorragenden Salär wohl wieder zurückkommen? Das gilt natürlich auch für die Tierärzte. Ich unterhalte mich Tage später in Odessa mit einer der Tierärztinnen darüber. Sie sind noch in halber Besetzung in der Klinik, der Rest ist im Krieg oder im Ausland. „Brain drain“ ist in der Ukraine künftig sicher ein großes Problem.

Fahrt über Land

Ich muss weiter. In Zhytomyr wartet Lada auf meine Sachen.

Die ersten 100 km sollen schlecht sein, wurde mir prophezeit. O.K., ich will jetzt nicht auf den einzelnen Kilometern rumreiten. Es ist ätzend.

Viele gnadenlose Schlaglöcher. Es zieht sich elend. Irgendwann erreiche ich endlich die Autobahn, eine vierspurige Straße. Ab hier geht es ganz gut. Eine putzige Besonderheit sind allerdings die Zebrastreifen, die alle paar Kilometer die Autobahn kreuzen. Nicht, dass irgendein Ukrainer so lebensmüde wäre, auf sein Fußgängerrecht zu pochen. Aber davor ist das Tempo meistens auf 70 km/h reduziert. Und es ist nicht so, dass es keine Kontrollen gäbe. Keine Ahnung wie teuer das werden kann. Aber ich habe Glück und werde genauso wenig erwischt, wie die anderen.

Eine ganz gute Autobahn

Dann manövriert mich das google – ausnahmsweise mal souverän – endlich durch den Feierabendverkehr von Zhytomyr. Es war bei allen meinen Ukrainern schwierig, eine Adresse von ihnen zu bekommen, die sich dann auch bei google maps aufrufen lässt. Aber wenn man 3 x nachgefragt hat schicken sie dem doofen Deutschen dann endlich einen Link zum Standort. Hat also prima geklappt. Aber trotz gutem Kontakt über Whatssapp und der Standortteilung von google ist niemand da, als ich endlich vor dem riesigen Gebäudekomplex stehe. Da bin ich dann schon ein bisschen enttäuscht.

Das Rätsel löst sich allerdings schnell: Wir warten nur an verschiedenen Punkten. Ich muss „einfach!“ nur auf die Rückseite des Gebäudekomplexes. Lada kommt aus dem Dunkel angeeilt. Und vielleicht sind wir beide ein wenig unsicher, wie man sich jetzt verhält. Wir kennen uns nur von facebook. Aber das „Hallo!“ ist nach einem kurzen Zögern auch hier wieder groß, und letztlich bricht eine herzliche Umarmung den Damm.

Mein Fahrerhaus ist komplett vollgestopft mit Schlafsack und anderen Utensilien. Daher kann Lada nicht bei mir mitfahren, aber „die nächste rechts“ und dann „die zweite wieder rechts“ sollte ich hinbekommen. Es ist bereits stockdunkel, keine Straßenbeleuchtung und die Seitenstraßen sind nicht als solche zu erkennen. Sehen aus wie Hofeinfahrten. Ich nehme also zielsicher die Dritte und stelle nach 200 m fest, dass es eine Sackgasse ist. Ohne Wendemöglichkeit. Interessant wird das rückwärts Wiedereinscheren ohne Sicht auf die Hauptstraße. Naja, sie sind Kummer gewohnt und das Mitdenken auch. Also kein Crash. Derweil ist Lada um die Hochhäuser rumgehetzt und wartet an der zweiten Abzweigung. Jetzt wird alles gut. Es handelt sich um eine Art einspurige Feuerwehrzufahrt auf der Rückseite.

Wir blockieren jetzt einfach mal alles und laden unter reger Anteilnahme der Nachbarn ab. Ihr Mann und ihr sehr sympathischer Sohn Fedor helfen tatkräftig. Der Sohn studierte Musik, bis der Krieg die Uni lahmgelegt hat. Er kann ganz gut Englisch und dolmetscht, obwohl Lada auch durchaus Deutsch spricht. Im Moment ist er in der Unterstützung der Soldaten aktiv. Was genau, das erfährt man nicht. Ist auch gut so, die rashistischen Spione sind wohl überall.

Das Abladen zieht sich sehr. Wir müssen diverse Sachen ausladen, um an diverse andere Sachen ranzukommen. Röntgen, Ultraschall, Zahnstation, Kompressor für selbige. Geräte für Augenuntersuchung, Sachen für Akupunktur. Für Lada ist Weihnachten und das freut mich sehr. Sie behandelt die Tiere mittlerweile in ihrer Wohnung. Die Klinik, in der sie war, hat geschlossen. Die wirtschaftliche Situation ist ziemlich schlecht.

Abladen ist geschafft! Jetzt muss nur noch der Rest wieder bruchsicher verstaut werden…

Es war wirklich nicht optimal gepackt, weil ich nicht wusste, ob ich am Ende alles ins Auto bekomme. Also stehen einige Sachen jetzt ganz am Eingang, obwohl sie erst als letztes in Odessa ausgeladen werden. Auch Brot und Konserven kosten mich den letzten Nerv. Nun gut. Irgendwann haben wir alles geschafft. Und dann soll es in die Stadt zum Abendessen gehen. Mein Navi ist wieder instruiert, hat aber leider die Baustellen in der Innenstadt nicht auf dem Zähler: Es ist nicht so, dass hier nicht ein ganz normales Leben stattfinden würde. Dazu gehört auch die Reparatur und Erneuerung von Straßen.

Ich verirre mich total. Die Zeit läuft und dann brechen wir die ganze Sache einfach ab, weil es nur noch kurze Zeit bis zur Ausgangssperre ist und die Kneipe jetzt eh zu macht. Vertagen alles auf morgen.

Also fahre ich zum Hotel, das mir Lada reserviert (und peinlicherweise auch bezahlt) hat. Es ist dort stockdunkel, google behauptet, dass ich mein Ziel erreicht hätte. Das kann ich so nicht nachvollziehen. Aber da geht ein kleiner Weg von der Straße ab, vielleicht ist da auf der Seite der Eingang? Dunkle enge Gassen in obskuren Ländern sind nicht so meins. Erst recht nicht, wenn mir vollbärtige, übelst unheimliche Gestalten entgegenkommen. Naja, ich kann ja niemanden sonst fragen. Der Mann hat einen Schlüssel zu einer Tür des Gebäudes. Ich rufe ihm ein „Hotel?“ zu und er tak, tak, nimmt mich mit rein und holt den Portier. Alles gut, ein prima Zimmer.  

Auch hier allerdings Heizungsregulierung nach Ostblockmanier: Fenster auf oder zu. Ich schlafe zuhause auch im Winter bei offenem Fenster, also ist meine Wahl klar. Das Leitungswasser schmeckt abscheulich, zum Zähneputzen geht’s aber.

Morgen ist Stadtbesichtigung angesagt. Und essen gehen. Ich bin gespannt!


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