Eine Fahrt in die Ukraine (4)

Touristische Unternehmungen in Zhytomyr

Erstmal noch ein kleiner Nachtrag zu Tscherwonohrad:

Die Abfahrt hatte sich dann doch noch ziemlich verzögert. Zum einen wegen der Einkaufsaktionen. Zum anderen bin ich aber erstmal gar nicht über die Stadtgrenzen rausgekommen: Eine beeindruckende orthodoxe Kirche hatte es mir angetan, gegenüber ein altes Kloster. Das muss man ihnen ja lassen: Das Kirchenbauen können die Orthodoxen mindestens so gut wie die Katholischen. Vielleicht sogar einen Tick besser. Ich wollte also kurz ein wenig filmen.

Es hat in etwa 10 Sekunden gedauert, bis mir ein an sich freundlicher, aber dennoch sehr bestimmter Soldat von hinten auf die Schulter getippt hat und mir zu verstehen gab: „Wait here!“. In einem Ton wie „Deine-Karriere-als-Kameramann-ist-hier-beendet-bevor-sie-überhaupt-angefangen-hat“. Einen Kopf größer als ich und wie aus dem Nichts noch verstärkt von zwei Soldatinnen mit Gewehr, rechts und links neben mir. Da habe ich dann noch ein bisschen versucht, google-smalltalk zu machen, hihi, wie schön doch die Kirche und sowieso medizinische Hilfsprodukte und so. „Wait here!“. Ja, ja, ist ja schon gut.

Es dauert auch gar nicht lange, bis ein altersschwacher 3er-Passat Kombi angejagt kommt. Drei weitere Soldaten steigen aus, offensichtlich etwas höherrangig und einer kann auch ganz gut Englisch. Er belehrt mich, dass ich keine Soldaten und auch sonst nix militärisches filmen dürfte. Das weiß ich bereits, gebe ich ihm zu verstehen. Es handele sich hier ja aber um eine Kirche und nicht um eine Raketenbasis. Dumm nur, dass ich bei meinem Filmschwenk von einer Kirche zur anderen die beiden Soldatinnen übersehen habe, die in einem der parkenden Autos direkt neben mir saßen.

Also werden meine beiden Handys erstmal genauestens auf verfängliche Bilder gefilzt. Soll ich irgendwas zu „muss der Staatsanwalt das nicht erstmal genehmigen?“ sagen? Ich weiß nicht. Muss ich eher nicht. Halte doch lieber die Klappe und bin weiter freundlich und habe da eigentlich auch vollstes Verständnis.

Das Auto mit den Soldatinnen ist zum Glück nicht wirklich mit auf den Aufnahmen. Und dann wird es etwas entspannter, es kommt doch noch Small Talk auf, die Soldaten freuen sich über ein Bild von unserem Hund Nele (Die Prinzessin kann einfach jeden bezaubern!) und man fachsimpelt, wieso ich als Deutscher denn nicht ein iPhone benutzen würde, sondern nur Samsung. Das Aneinanderreiben von Daumen und Zeigefinger wird auch in der Ukraine ohne Weiteres verstanden. Klar, man muss noch ins Auto schauen, „please open“ und so weiter. Aber dann darf ich auch schon weiterfahren. Hat mich locker eine Stunde gekostet. Es ist doch sehr nett, wenn man mit der einheimischen Bevölkerung anregende Kontakte knüpfen kann, ohne gleich erschossen zu werden!

Aber zurück nach Zhytomyr: Das Abladen war erledigt, für ein Abendessen hat es wegen der Ausgangssperre dann nicht mehr gereicht. Mein Hotel hatte ich mit einiger Mühe und durchaus etwas Fracksausen – mit äusserst gesträubten Nackenhaaren in der dunklen Gasse – doch noch gut gefunden.

Insgesamt bin ich nicht so wirklich entspannt, auch wenn hier in der Westukraine im Moment nicht ganz so viele Bomben runterkommen. Als jemand, der keine Ahnung vom Leben in einem Kriegsland hat, hält man ja doch erstmal ständig Ausschau nach vorbeifliegenden Drohnen und ähnlichen Widrigkeiten. Der blöde Luftalarm macht einem eine richtige Gänsehaut – es ist einfach klar, dass das kein Spaß ist.

Was aber soll ich machen? Unterwegs irgendwo in den Straßengraben springen? In den nicht vorhandenen Keller umziehen? Schutzräume gibt es nur in den großen Städten. Und ganz ehrlich: Das Allerschlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist, in einem solchen Keller verschüttet zu werden. Ich bekomme ja schon Panik, wenn ich mich mal beim Autobasteln unterm Benz verhake.

Gut beraten in solchen Fällen macht man also genau das, was alle Einheimischen auch machen: Ruhe bewahren und so tun, als ob nichts wäre. Slawa Ukrajini! eben.

Die Nacht in meinem Hotel ist an sich sehr ruhig, aber dann stört doch wieder ein Luftalarm. Ich plündere die Zimmerbar und genehmige mir ein Dosenbier. Unheimlich, wenn man im Dunkeln liegt und auf einen eventuellen Einschlag lauscht. Aber ich bin k.o. und schlafe dann auch schnell wieder ein. So führen eben die Rashisten ihren Krieg: Sie versuchen, die Leute mürbe zu machen. Das wird in der Ukraine aber ganz sicher nicht funktionieren. Jede zerbombte Schule, jeder Tote, jeder Stromausfall macht die Leute nur noch wütender und entschlossener. Nicht, dass sie es nicht schon wären. Das Beruhigungsbier kostet bei der Abreise 60 cent.

Am Morgen ein déjà vu beim Blick aus meinem Hotelfenster: Haben sie mich nachts heimlich nach Tschernobyl gebracht? Wer kennt die Bilder nicht, von dem verlassenen Riesenrad dort! Und das habe ich jetzt vor der Nase. Also fast, es ist vielleicht doch eine Nummer kleiner. Vom Baujahr her eher noch viel weiter zurück in der glorreichen Zeit der sozialistischen Sowjetrepubliken. Bestimmt kommt jährlich der TÜV und kontrolliert alles.

Wenn ich irgendwann mal richtig Mut habe, werde ich eine Runde mit diesem Riesenrad drehen!

Ich bin fasziniert und starte den Tag mit einer Besichtigung des kleinen Vergnügungsparks. Kaffee aus dem Tante-Emma-Lädchen an der Ecke, von der ersten unfreundlichen Verkäuferin, die ich treffe. Naja, sie ist ja sicher auch schon ein paar Stündchen auf den Beinen und gut im Stress, ich bin nicht der einzige Kaffeekunde.

Ich bestaune im herbstlichen Morgennebel diverse Oldtimer-Karussells, den morbiden Charme vergangener Zeiten mag ich ja sehr gerne. Stichwort „lost places“. Und die herbstliche Stimmung passt da perfekt dazu.
Aber mittlerweile ist Lada vor dem Hotel angekommen und fragt wo ich wohl bleibe? Also haste ich schnell in die wahre Welt zurück und dann geht es los auf Stadtbesichtigung.

Den Kindern macht es sicher richtig Spaß!

Lada ist sehr stolz auf ihr Zhytomyr und das ganz zurecht: Eine überraschend schöne Innenstadt (ich hatte mehr sozialistischen Plattenbau erwartet) und viele sehenswerte Gebäude und Kirchen. Die Geschichte ist überall sehr greifbar. Meine Kollegin kann zu allem etwas erzählen und dieser Vormittag macht wirklich richtig Spaß und ist hochinteressant! Die Mischung aus Deutsch, Englisch und google sorgt dabei recht oft für einen extra Lacher.

Allerdings komme ich mit meinem Gimbal (das ist ein Schwebestativ für in diesem Fall das Smartphone) auch diesmal nicht weit: Keine zweihundert Meter vom Hotel wurden wir bereits von zwei vermeintlichen Passanten ermahnt, nicht zu filmen. Es waren eigentlich Wachposten für irgendwas, wie sich später herausstellte. Naja, also ich finde, man kann es auch übertreiben, wir haben da ja gar nicht gefilmt. Und das Konzerthaus und den Wasserturm wird man doch wohl noch knipsen dürfen.

Der Stein des polizeilichen Anstoßes

Das darf man auch. Aber man muss sich darauf gefasst machen, dass auch in diesem Fall mal genauer nachgeschaut wird – diesmal ein richtiges Polizeiauto mit Blaulicht und so. Die Kollegen von vorhin hatten kurzerhand die Polente gerufen. Lada kann aber alles erklären und wir dürfen weiter durch die Stadt ziehen.

Tja, und dann kommen wir trotz der ganzen schönen Dinge hier an einen Ort, der einen wieder zurück in die Realität der Ukraine bringt: Das Gymnasium mitten in der Stadt. Zhytomyr hat bisher nur relativ wenige Schäden davongetragen. Das Gymnasium aber wurde weggesprengt. Zufall? Wohl eher nicht.

Ich war mittlerweile etwas verklemmt, was Aufnahmen angeht.
Aber so sieht eine Schule aus, wenn sie von den Rashisten weggesprengt wird.

Leider habe ich jetzt nicht viel mehr Zeit, ich habe noch einige tausend Kilometer vor mir. Aber das Essen müssen wir noch nachholen, da besteht Lada drauf. Und da ich Schwabe bin, bin ich zwar nicht wirklich mit Italienern verwandt. (Wir sind damals bei der Völkerwanderung nach Portugal gezogen, was der portugiesischen Sprache ihre „sch’s“ und den melodischen Klang gebracht hat) Aber kulinarisch bin ich eben doch ganz klar südlich orientiert.

warenikiDa kommt man dann schnell – geografisch gesehen – von Tortellini über Maultaschen, dann den polnischen Pierogi zu den ukrainischen Wareniki. Mit Käsefüllung oder süß. Danach eine kleine Süßspeise, deren Namen ich vergessen habe. Auf jeden Fall alles ausgesprochen lecker! Dass ich eigentlich gerade Diät mache, wollen wir heute mal einfach ignorieren.

Und für unsere Verhältnisse ist es spottbillig. Ich konnte zwar nur einen kurzen Blick auf die Rechung erhaschen, bezahlen war mir strikt untersagt. Aber mit Kaffee, Suppe, Essen und Getränken für zwei Personen sicher keine 15 €. Dafür 5 aufmerksame Kellner und Kellnerinnen in adretten Klamotten. Die das wahrscheinlich für einen Hungerlohn machen müssen. Aber trotzdem absolut freundlich, zuvorkommend und stilvoll sind.

Wir beenden unseren ausgedehnten Rundgang durch die Stadt und Lada verabschiedet mich an meinem Bus. Ich hofffe, dass ich sie irgendwann einmal, vor allem lebend und bei guter Gesundheit, wiedersehe. Mit mehr Zeit für diese schöne Stadt!

Jetzt muss ich aber wirklich weiter, die Zeit läuft. Eigentlich stand Kiew als nächster Stop auf dem Plan – nur, dass die dorthin geflohene Kollegin mittlerweile weiter nach Charkiw gezogen ist und dort in einer Klinik arbeitet, die sich um Reha für Tiere kümmert. Soll mir auch recht sein. In Charkiw habe ich noch einen Kontakt zu einigen echt coolen Leuten, die sich um das Wohlergehen der Tiere in den entbesetzten Gebieten östlich von Charkiw kümmern.

Das ist eine echte Herausforderung und sie brauchen wirklich Unterstützung Es ist von den Russen so ziemlich alles zerstört und geplündert worden. Sie klauen sogar WCs, weil sie das in Sibirien noch nicht kennen. Dürfen ihre Beute mit der Post nach Hause schicken.

Man muss in diesen Outbacks ständig aufpassen, dass man auf keine Mine tritt. Oder Sprengfallen erwischt. Die zum Beispiel in Teddybären für die Kinder versteckt sind. Aber auch dort gibt es immer noch Menschen, die sich um die Tiere kümmern. Und genau da müssen das Futter und die Flohmittel hin, die ich dabeihabe.

Patron ist ein berühmter Minensuchhund. Er warnt an den Bushaltestellen vor den miesen Tricks der Russen. Z.B. Sprengsätze in Teddybären, wie in Butscha.

Und dann sind in Charkiw nicht zuletzt auch Volodymyrs Kumpels, die das Brot, die Konserven und die Medikamente brauchen, um sie an die Front zu bringen.

Es ist mir sehr recht, dass ich direkt weiterfahren kann: Kiew hätte ich sehr gerne gesehen, aber das spart mir einen Stop, für den ich jetzt echt keine Zeit mehr habe.

Nun, nicht so ganz. Ich komme im Feierabendverkehr in Kiew an.


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