Wer das Projekt noch nicht kennt, kann hier eine kurze Beschreibung lesen. Es geht darum, meinen Kollegen in der Ukraine Spenden zu bringen. Das wird mich ganz in den Osten an die russische Grenze führen.
25.10.2022
Eigentlich wollte ich mit meinem Transport schon längst gestartet sein. Freitag packen, Samstag oder Sonntag losfahren. Jetzt ist Dienstag und ich bin komplett entnervt. Weil ich nicht weiß, ob ich diese Strecke überhaupt noch in den paar Tagen schaffen werde. Ich muss spätestens nach zwei Wochen zurück sein, 13 Tage für reichlich 5000 km. Befahrbarkeit der ukrainischen Straßen – unbekannt. Durchhaltevermögen des Transporters – unbekannt. Funktioniert mein Smartphone – Navigation, alle Kontakte und der Luftalarm? Unbekannt. Vielleicht lebenswichtig. Geht die Kreditkarte? – keine Ahnung. Wieviel Kontrollen halten mich unterwegs auf? Werden mich die Kollegen auslachen, wenn ich mit meiner Sammlung von alten Gerätschaften ankomme? Oder werde ich vorher von Putler und seinen Rashisten weggesprengt?
Ich weiß eigentlich nur, wo es zur ukrainischen Grenze geht und dass es etwas weit ist. Entspannt in einen schönen Herbsturlaub zu starten ist was anderes.
Die Wochen der Vorbereitung waren zugegeben nicht immer sehr effektiv. Manchmal ist halt einfach die Luft raus und wenn man sowieso nur am Wochenende Zeit hat, geht es nicht immer vorwärts. Schließlich gibt es ja auch noch andere Sachen zu erledigen. Ein großer Fehler war, daß ich die Sachen auf verschiedene Lager aufgeteilt hatte. So dass immer nochmal ein Karton aus der Versenkung auftauchte, der noch zu sortieren war. Folglich die bereits verpackten Kartons, vorzugsweise ganz hinten im Stapel, wieder rausgesucht und geöffnet werden mussten.
Dann gab es einige Geräte, die nicht so funktionierten, wie sie sollten. Natürlich ging auch für das Testen Zeit drauf und dann natürlich für die Reparatur. Ich bin ein Schwabe und würde niemals die Schande auf mich nehmen wollen, ein defektes Gerät abzuliefern. Zum Glück bin ich nicht ganz unbegabt, was das angeht. Wenn ich mal Rentner bin, kann ich ja in so einem Selbsthilfereparaturvereinscafé mitmachen, falls ich jemals Langeweile bekommen sollte. Wenn mich mein Tatterich nicht bis dahin vollends am gezielten Einsatz eines Schraubenziehers hindert.
Auf jeden Fall ging das Kisten packen bis zur letzten Minute. Sprich Montagabend. Das war äußerster, allerletzter Starttermin für mich. Wiegen (für den Zoll), beschriften und dann das große Sprinterpuzzle zusammenbauen. Es war klar, dass die ganzen Sachen nur sehr knapp reinpassen würden. Ich hätte doch einen langen Transporter kaufen sollen, L3H2.
Das andere große Problem, das die Verzögerung verursacht hat, war eben jener Transporter – ich hatte schlicht keinen. Jedenfalls nicht auf dem Hof stehen, mit TÜV, angemeldet und startklar für eine Fahrt in verschärfte Gegenden. Ich hatte seit Mai nach einem Gefährt gesucht, aber nur völlig überteuerten Schrott gefunden.
Mittlerweile kenne ich auch die Ursachen: Zum einen sind die Lieferzeiten für neue Transporter außerordentlich lang. Da behält man den alten vielleicht doch noch ein wenig. Dann will Hinz und Kunz ein Wohnmobil ausbauen. Irgendwann sehen sie ein, dass es keinen Sinn macht, noch mehr Geld in die alte Gurke zu stecken. Aber das bereits investierte soll auf jeden Fall wieder rauskommen. Und drittens hat die Ukraine für ein paar Monate alle Einfuhrzölle auf Gebrauchtwagen aufgehoben, damit das Militär schnell mit Ersatz ausgestattet werden kann. Aber das haben natürlich auch die privaten Dealer genutzt. Und so war der deutsche Gebrauchtwagenmarkt leergefegt.
Vier Wochen vor der Abfahrt bin ich dann doch noch zu einem adäquaten Fahrzeug gekommen: Mein freier Freitag führte mich auf eine Tour nach Hamburg. Renault Master L3H2. An sich schön, Automatik, Rost hält sich in Grenzen, Fahrerhaus völlig verwarzt, Motor verölt und er springt erst gar nicht an, das war’s dann auch schon. Und dann nach Winsen/Luhe, Iveco Daily L2H2, TÜV neu, mit faustgroßen Löchern in tragenden Teilen. Auch das ist keine weitere Überlegung wert.
Frustriert hatte ich dann auf einem Supermarktparkplatz noch einen kurzen Blick in mobile.de, einem Kleinanzeigenmarkt, geworfen. Natürlich auch ebay-Kleinanzeigen. Am Wochenende werden viele Autos neu eingestellt und wo ich schon mal unterwegs bin…
Und siehe da, in Schneverdingen: Ein Sprinter der passen könnte. Er hat zwar viele Kilometer, aber das finde ich nicht so schlimm – da hat er die meisten großen Reparaturen schon hinter sich und ist vor allem eher Langstrecke gefahren. Und Schneverdingen liegt quasi auf dem Heimweg. Also bin ich kurzerhand hingefahren.
Man muss da schnell sein, die guten Fahrzeuge sind sofort weg. Und diesmal war ich der erste vor Ort. Es ist ausnahmsweise ein Händler ohne Migrationsgeschichte. So sagt man doch korrekt zu einem Norddeutschen, oder? Ich darf hier sicher nicht erwähnen, dass ich in erster Linie mit Leuten zu tun hatte, die der deutschen Sprache nur am Rande mächtig waren. Das wäre ja wahrscheinlich diskriominunierends oder so. Sie sind auch keine Betrüger per se. Sie haben nur eine andere Aufassung der Realität.
Der Sprinter ist nicht wirklich schön. Hat auch schon Rost, insbesondere an den Türen. Die kann man aber tauschen, wenn man will. Er ist nicht völlig runtergeritten, der Motor ist trocken und er fährt gut und schaltet halbwegs sauber. Die Bremsen finde ich nicht so besonders, aber der Pferdehändler behauptet, dass sie gut sind. Nun, wenn er das sagt… Also eingeschlagen. Dumm, dass bei diesem Handel – trotz teutscher Sprache – ein Missverständnis vorlag: Die Karre hat keinen TÜV.
Das stelle ich leider erst an meinem nächsten freien Tag, dem Mittwoch, fest. Die Sekretärin des Autodealers war so lieb, mir Überführungskennzeichen zu besorgen. Die kann man in Bremen so gut wie gar nicht mehr bekommen, aber über Bürokratie und insbesondere die bremische Verwaltung, lasse ich mich ein andermal aus. Jedenfalls zuckel ich mit der Deutschen Bahn nach Schneverdingen. Das liegt etwas um die Ecke und dauert daher seine Zeit.
Dort angekommen stelle ich fest, dass die Kennzeichen genausowenig für eine Überführung außerhalb des Landkreises erlaubt sind, wie ein selbstgemaltes Pappschild. Aber Pferdehändler haben ja immer ein unschlagbares Argument parat: Die Polen würden damit ja auch bis nach Hause fahren. Ja, Klasse. Im Zweifel würde ich es am heutigen Tag aber tatsächlich drauf ankommen lassen.
Aber leider, leider – es stellt sich jetzt heraus: Der Bock hat keinen TÜV, so dass meine kriminellen Energien schon im Ansatz ausgebremst werden. Ich wäre ja neulich sofort vom Hof gefahren, wenn ich das gewusst hätte. Ist normalerweise meine erste Frage. Da haben wir vor lauter Autos besichtigen (er hatte noch ein paar andere ganz gute Modelle da stehen) irgendwas durcheinandergebracht. Ich kann nicht sagen, ob ich der Depp war oder er. Fakt ist, dass ich jetzt nur noch 3 Wochen bis zur Abfahrt und keinerlei Chance habe, das Auto anzumelden. Oder ein anderes zu kaufen. Weil die Kohle ist ja schon weg. Abgründe der Ohnmacht tun sich in mir auf.
Aber auch Autodealer können nett sein und sie wollen mir helfen, das Problem zu beheben. Also fahre ich erstmal unverrichteter Dinge wieder nach Hause. An sich sehr hübsch, so mit der Eisenbahn durch die Nordheide eiern, bin auch gaaanz entspannt und ausnahmsweise verpasse ich nur einen Anschlusszug wegen Verspätung. Da ich aber sowieso das falsche Ticket gelöst hatte und der Schaffner beide Augen zugedrückt hat, mag ich diesmal nicht auf einer Kostenerstattung herumreiten.
Es ist nicht aussichtslos: Ein paar essentielle Reparaturen, Bremsleitungen z.B., zum moderaten Preis. Und dann bekommt er seine Plakette, man muss schließlich auch mal an einen netten Prüfer geraten. Nur, dass das alles leider dauert, weil die hauseigene Werkstatt sowieso überlastet ist.
Als es dann endlich soweit ist, schickt mir die Sekretärin die Papiere auch gleich per Kurier zu. Der sie stumpf in den Briefkasten wirft, so dass wir es erst spät am Freitagvormittag (noch eine Woche bis zur Abfahrt) bemerken. Das ist aber egal, da man in Bremen sowieso keine kurzfristigen Termine auf der Zulassungsstelle bekommt. Also beauftragen wir den örtlichen Schildermacher, die Anmeldung zu übernehmen. Er will es innerhalb von 3 Werktagen regeln, der Optimist.
Ich bin allerdings auf der Arbeit. Also bringt Anke den ganzen Mist schnell hin, organisiert von mir eine neue Vollmacht, die mitgelieferte reicht nicht. Per Fax, wie altmodisch. Zum Glück haben wir noch eines auf der Arbeit.
Meine selbstgeschriebene Vollmacht – wie ich sie auf allen anderen Zulassungsstellen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, geschrieben habe – reicht in Bremen nicht. Es muss der amtliche Vordruck sein. Steht auch nichts anderes drauf, aber bestimmt kann es wiehern…
Dann geschieht ein Wunder: Noch am Freitag schafft der Schilderheini eine Zulassung! Was ganz am Rande ein neues Problem verursacht: Meinen dicken Benz muss ich zügig abmelden, sonst kann ich Zweitwagentarif bezahlen… Also zuckelt Anke am Montag wieder zur Zulassungsstelle. Abmelden geht sogar ohne Termin, muss man das verstehen? Und sie wundern sich doch tatsächlich, dass sie einen Sicherheitsdienst am Eingang benötigen.
Ich sitze am Mittwoch, jetzt noch drei Tage bis zu meiner Abfahrt, wieder im Zug und kann endlich das grüne Monster abholen. Bin einigermassen glücklich, zumal es mir sehr viel Freude bereitet, große Autos zu fahren und die Aussicht aus dem Cockpit zu genießen. An die verschiedensten neuen Geräusche eines alten Autos, das Sirren, Knacken, Klappern, Seufzen und Stöhnen würde ich mich erst noch gewöhnen müssen. Das hat bis weit hinter Kiew gedauert.
Aber natürlich ist die Sache mit der Abholung des Fahrzeugs noch nicht erledigt: Wenn ich schon keinerlei Vertrauen in die Kiste habe, möchte ich doch zumindest das pechschwarze, zähe Altöl aus dem Motor raushaben, bevor es auf diese Strecke geht. Und einen neuen Luftfilter. Und den richtigen Luftdruck auf den Reifen. Bei 4 bar kommt der Tankstellenkompressor schon mal ins Schwitzen.
Kurzfristig Termin in der Werkstatt? Natürlich Fehlanzeige. Also wieder Anke losgeschickt und sie kommt mit genau 12 l Motoröl und einem Öl- und Luftfilter wieder. Also Samstag – der ersten Gelegenheit – Öl- und Luftfilterwechsel, den Feuerlöscher eingebaut, den großen Verbandskasten in der Fahrerkabine befestigt. Ich habe schon viel auf deutschen Straßen erlebt, da muss ich nicht erst in die Ukraine, um es zu schätzen, solche Sachen griffbereit zu haben. Zumal das Risiko, einen großen Verbandskasten zu benötigen, auf dieser Fahrt ja deutlich höher ist.
Diesmal kommen allerdings noch einige Accessoires dazu: Am Gürtel habe ich eine kleine Tasche mit Schere, Handschuhen, Taschenlampe und einem Tourniquet. Das ist ein Teil zum Abbinden von abgerissenen Gliedmaßen. Dazu später aber mehr. Eine zweite Tasche mit Beatmungsmaske. Das war beim letzten Mal einfach eklig mit dem ganzen Blut. Und natürlich mein Leatherman. So sollte man auch für kritische Situationen gewappnet sein. Übertreibe ich?
Den Rest des Samstags bringe ich mit der Konstruktion eines Bettbretts für die Fahrerkabine zu. Schließlich muss ich unterwegs irgendwo nächtigen und es ist nicht der Geiz, der mich im Wagen schlafen lässt: Ich habe keine Lust auf Hotelsuche mitten in der Nacht, sondern will da anhalten, wo es mir mit Fahren reicht. Und ich werde auf gar keinen Fall das Fahrzeug mit seiner Ladung irgendwo unbeaufsichtigt rumstehen lassen. Die Zahnfee ist natürlich auch mit dabei. Nein, Baseball spiele ich sonst nicht, aber es ist ein sehr schönes Modell. Ganzmetall, fühlt sich gut an. Wieder ein Tag weniger.
Jetzt sind wir schon bei Sonntag und das Packen wird ein Kraftakt, im wahrsten Sinne des Wortes: Schwere OP-Tische, schwere Autoklaven, schwere Röntgengeräte. Und der eigentlich eingeplante Helfer ist verschwunden. Zum Glück kommt ein Freund zufällig des Weges, der hat dann gleich mal mit angepackt. Trotz alledem wird es ruckzuck Montagabend, meine Nerven sind jetzt restlos blank, weil noch nicht mal meine Reisetasche gepackt ist, der Adapter für’s Notebook nicht funktioniert und und und.
Irgendwann schmeiße ich die Flinte ins Korn und beschließe, dass heute gar nirgendwo mehr hingefahren wird. Und das war gut so, die Hälfte vergessen kann man auch am nächsten Tag noch. Dienstagmorgen geht es dann aber endlich los und ich fahre recht unspektakulär und ohne größere Verkehrsprobleme bis kurz vor Warschau. Da bin ich dann müde und der erste Halt ist an einem hübschen kleinen See.
Fantastischer Sternenhimmel, den habe ich in Deutschland schon lange nicht mehr gesehen. So langsam werden meine Nerven wieder etwas besser, aber bevor die Ukrainer mich nicht reingelassen haben, wird das mit richtig entspannt noch nix. Morgens ist Nebel. Und das führt auch in Polen zu Unfällen auf den Autobahnen. Es geht trotzdem weiter, wenn auch zäh …