Eine Geschichte vom Uhu

Vor 20 Jahren auf einer Vertretung in Südschwarzwald

Sonntag.

Ein schöner Sonntag! Sonnenschein zuhauf, weiße Wölkchen vor sattblauem Hintergrund – was wollte man mehr als jetzt noch eine schöne Praxistour über die Dörfchen an der Schweizer Grenze zu machen? Nun ja, vielleicht dienstfrei und ein Moped… Die sonntäglichen Wehwehchen der Kühe sind schnell versorgt, trotzdem zieht eine unerbittliche Schwere an meinen Augenlidern, der Sonntagsbraten mag wohl seinen Anteil daran haben. Ich beschließe also, meinen Tatendrang durch ein kleines Nickerchen wiederherzustellen.

Klar, ab Eintreten des Dämmerzustands dauert es keine 10 Minuten da klingelt es an der Haustür. Ich denke bei mir, „Leute, bis ich jetzt aufgesprungen und standesgemäß angekleidet bin seid Ihr sowieso wieder weg!“ und so war es denn auch. „Wenn’s wichtig ist werdet ihr schon anrufen…“ und auch so war es. Wiederum die 10-Minuten-Frist eingehalten, bravo! Allerdings war es dann endgültig mit dem Nickerchen rum, ich hatte das Polizeirevier am anderen Ende. Schluck! Wo habe ich überholt? Wo wieder zu hurtig? Schnell den unverbindlich-zurückhaltenden Ton aufgesetzt – ein Glück, keine direkten Vorwürfe – auch kein Pferd aus irgendwelchen Teichen zu ziehen, nein, Passanten hätten einen Greifvogel gefunden. Prima, sage ich, könnt ihr gleich kommen. Die Chance auf einen Rest Nachmittagsruhe witternd zücke ich im Geist das Narcoren, um einen verflohten, abgemagerten und flügelgebrochenen Bussard in den Vogelhimmel zu schicken.

Wenig später war die Streife dann vor Ort, die Vorhut besteht aus einem 2-Meter-Bodyguard, gefolgt von einem etwas kleineren aber dafür behandschuhten Kollegen, der in weitestmöglicher Entfernung zu seinem Schnurrbart ein ziemlich großes Federknäuel vor sich her trägt. Ob ich wohl wüßte, was das für ein Vogel sei. Weiß ich nicht, sieht ein bißchen wie ’ne Eule aus. Und hat trotz seiner Jungvogelbeschaffenheit durchaus beeindruckende Hack- und Greifacessoirs, die mich die Handschuhe plötzlich in einem ganz anderen Licht betrachten lassen. Die Sorge stellt sich aber schnell als unbegründet heraus, es handelt sich wirklich nur um 1 kg treuherzig dreinschauenden Junguhus. Die Gendarmen befreien noch kurz ihre Hosen vom Junguhukot und dann bin ich plötzlich wieder alleine. Naja, nicht ganz, da wäre ja noch der Uhu.

Montag.

Ein Montag wie die meisten anderen, ich mag Montage nicht. Jedenfalls keine Zeit für Uhus. Immerhin bringt die Fleischbeschau soviel Probenreste, daß ich damit eine ganze Uhu-Familie satt machen könnte.

Dienstag.

Ich habe mich erkundigt und mir wurde die Adresse des Falkners genannt, der hier im Landkreis wohl für diese Fälle zuständig sein soll. Also die Hühner gesattelt, Uhu in die Katzenkiste, Morgensprechstunde-fällt-heute-aus-Zettel an die Tür und losgezuckelt. „Melden macht frei“ habe ich damals beim Bund gelernt und bin froh das Vieh in kompetente Hände weiterreichen zu können.

Der Vergnügungspark mit Greifvogelgehege ist nicht weit, reichlich eine halbe Stunde und nach einem weiteren Viertelstündchen braust der Falkner mit seinem Kastenwagen heran, ganz in waidmännischer Manier grün befrackt. Die Wampe allerdings, die da über den Gürtel der Jägerhose balanciert, kommt wohl nicht nur vom vielen Rehbraten, denke ich so bei mir… Ich sehe meine Felle schwinden als er anhebt mir zu erklären, daß er den Uhu wohl aufziehen könnte, es aber bereits genug Uhus in Gefangenschaft gäbe. Überlege erstmals, wie man wohl einen Uhu auswildert. Das Beste wäre, sagt er, wenn ich ihn einfach dort hin setzen würde, wo man ihn gefunden hat. Danke für den heißen Tip! Bevor er mir weitere Details über das verfüttern wilder Katzen an Greifvögel schildern kann, mache ich mich von dannen. Natürlich mit Uhu. Die Trichinenproben werden knapp.

Mittwoch.

Es schüttet in Strömen. Ich denke überhaupt nicht daran, meinen Uhu bei so einem Wetter den Füchsen zum Fraß vorzuwerfen. Ich gehe jetzt auf Jagd nach Mäusen, auf in die große Stadt! In der einzigen Zoohandlung weit und breit angekommen, muß ich feststellen, daß das Angebot an Tiefkühlkost für Uhus leider gegen null geht: Sie haben noch nicht mal eine Gefriertruhe dort. Macht ja nix, man kann ja mal fragen – vielleicht haben sie ja welche im Séparée um die Gemüter der Mäusebesitzer zu schonen? Ich ernte bereits ziemlich abweisende Blicke (ich war inkognito), bekomme aber dennoch widerstrebend die vage Adresse eines Reptilienfutterladens, der wohl mit gefrorenen Eintagsküken dealt – 30 km weg und das 5 Minuten vor 7. Ich glaube, mit meiner Frage, was denn wohl lebende Mäuse bei ihnen kosten würden habe ich ein Fettnäpfchen erwischt. Gottseidank habe ich keine Praxis dort.

Donnerstag.

Das Überleben des Uhus ist für’s erste gesichert, die fetten Katzen waren endlich mal zu was gut und haben heute Nacht zwei Mäuse angeschleppt. Ich hätte nicht gedacht, daß ich mich noch mal über den barfüßigen Tritt in die Blutspuren der Küche freuen würde. In der Mittagspause hat nun das Stündlein des Aussetzens endgültig geschlagen. Ich habe einen groben Hinweis bekommen, wo der Uhu aufgeklaubt wurde und mache mich wiederum auf den Weg. Nach Verlassen der Hauptverkehrsstraße dauert es natürlich keinen Kilometer bis ich durch einen weiteren grünbefrackten Herrn am Weiterfahren gehindert werde. In diesem Fall nun der Oberförster. Ich steige also aus, um ihm meinen Grund für das völlig unbefugte Befahren seines Reviers auseinanderzusetzen. Ich weiß nicht, ob er vielleicht was mit den Ohren hat.

Jedenfalls wird er nicht müde, mir zu erklären, daß ich hier nicht langfahren dürfte und zunächst das Forstamt um eine Erlaubnis zu bitten habe. Ich gebe zu, daß ich so meine Schwierigkeiten mit Uniformträgern habe, versuche mir das aber möglichst nicht anmerken zu lassen – jedenfalls nicht sofort. Zu allem Überfluß hat mein Hund die Gelegenheit genutzt, mal eben aus dem Auto zu hüpfen und ein wenig die Umgebung zu erkunden. Was mir umgehend ein „nehmänSieSofortIränHundandieLeine“ vom Subhilfsholzfäller – er ist noch nicht mal uniformiert – aus dem Wäldchen unterhalb einbringt. Ich mag es nicht, wenn mich Subhilfsholzfäller ohne ein „Guten Tag“ von der Seite anblöken.

Schließlich hat der Förster doch noch ein Einsehen. Vielleicht ist es ihm ja auch nur peinlich, daß er weder weiß, wo in seinem Revier Uhus nisten – was man nachsehen kann – noch wo sich besagte Schieferwand befindet. Er geleitet mich bis zur nächsten Gabelung, sagt da könne ich nicht hochfahren und erinnert mich nochmals daran, das Forstamt anzurufen. Wer mich kennt weiß, daß ich ein ungemein friedliebender Mensch bin. Aber irgendwann ist es dann auch bei mir soweit, ein roter Schleier legt sich vor meine unkontrolliert zuckenden Augen, meine Hände zittern, benetzen sich mit Schweiß und dann macht es ‚klick‘. Ich weiß nicht mehr genau, was ich diesen Mann geheißen habe, ich meine mich an die Worte „dahergelaufen“ und „kleine Uniform“ und „meinen der Größte zu sein“ zu erinnern.

Und in meiner Wut kam mir ganz plötzlich die Erleuchtung: Ich hatte hier ja ganz offensichtlich den Ranger per se vor mir! Umgehend machten sich wieder Erleichterung und Gelassenheit in mir breit. Es mag sogar sein, daß sich ein hinterhältiges Grinsen auf meinem Gesicht zeigte, als ich ihm erklärte, daß es sich bei ihm als selbsternanntem Schützer der hiesigen Wildnis ja wohl ganz offensichtlich um den wirklich Zuständigen für diesen Uhu handle. Sprach’s und nahm den Katzenkäfig aus dem Auto. Dem Förster schwante bereits Übles, er war jedenfalls – begleitet von lauten „Nein, das geht nicht!“-Rufen – deutlich schneller an seinem Wagen als ich und mir blieb nur, den Piepmatz vor seine Füße zu setzen. Beide ziemlich hilflos sahen sie einander an – und plötzlich war der Weg doch befahrbar. Ich glaube, ich habe ihm Unrecht getan, so verdattert wie der arme Mann da stand hat er es bestimmt nicht so gemeint. Ich glaube, Förster sind auch nur für Bäume zuständig, außerdem war seine Frau gestern mit der Katze zum Impfen da, wie peinlich.

Die ganze Aktion hat mich unterm Strich allerdings nicht weitergebracht, der Hang war ganz offensichtlich der falsche – von Schiefer weit und breit keine Spur.

Freitag.

Futternachschub naht in Form von Rinderherzen. Wurde mir vom Falkner empfohlen, Rinderherzen oder Eintagsküken. Wenn man bei der Fleischbeschau zwischen den Herzhälften eine Scheibe rausschneidet merkt’s keiner.

Nachmittags treffe ich mich mit dem Polizisten der seinerzeit mit am „Tatort“ war. Der Zufall will es, daß er nicht nur üblen Verbrechern nachstellt sondern ebenso den Wildschweinen, was wohl manchmal keinen großen Unterschied macht. Und wir sind in seinem Hausrevier. Gottseidank hat er keine Uniform an. Er kann mir die Fundstelle genau zeigen, am Fuße eines ca. 15 m hohen Steilhangs aus verwittertem Schiefer. Oben geht das Schiefergeröll in eine senkrechte Felswand über, dort über uns muß irgendwo das Nest sein. Wir suchen und suchen, kraxeln im Schutt rum, aber es ist aussichtslos: Ohne Kletterausrüstung ist kein vorwärtskommen. Außerdem bauen Uhus keine Nester.

Samstag.

Ich gehe die Nestsuche anders an: Die Eltern müßten sich doch beim Jagen beobachten lassen! Im Grunde meines Herzens wollte ich ja schon immer mal Naturforscher spielen, muß wohl eine Spätfolge der vielen Tierfilme sein, die ich als Kind so gesehen habe. Also komme ich spät abends mit einem altersschwachen Fernglas zurück und warte. In der 100 m entfernten Ausflugshütte tobt der Bär. Leider liegen Generationen zwischen mir und dem feiernden Volk, so daß ich – wie ehedem unsere Eltern – der Musik nicht wirklich etwas abgewinnen kann. Die Uhus aber auch nicht. Kurz nach 12 wird es ruhig und nun kann ich erstmals den Waldgeräuschen lauschen. Ein bißchen gruselig ist das ja schon, aber ich belustige mich an dem Gedanken, ganz still dazusitzen und wenn der Jäger neben mir vorbeikommt unvermittelt löwenartige Geräusche zu machen. Verwerfe die Idee aber wieder als nicht ausgereift und kindisch. Die Uhus fliegen wohl heute nicht und ich gehe irgendwann nach Hause.

So., Mo., Di.

Es regnet. Es schüttet. Es scheint kurz die Sonne. Und dann wieder von vorne. Keine guten Voraussetzungen für weitere Naturbeobachtungen. Also die Taktik wieder ändern: Bei nächster Gelegenheit werde ich den Uhu im Felsen aussetzen, in der Hoffnung, daß die Eltern ihn wieder füttern – was bei Greifvögeln wohl durchaus möglich ist, da ihnen der Geruchssinn fehlt. Und wenn ich weiß, wo der Jungvogel sitzt ist es vielleicht auch einfacher sie zu beobachten, um ihn gegebenenfalls wieder da runter zu holen. Dienstagabend kommt auch endlich mein Equipment: Steigeisen, ein Pickel und ein ordentliches Fernglas.

Donnerstag.

Die große Stunde naht, der Hang ist einigermaßen abgetrocknet. Ich besorge auf der Praxistour eine große Obstkiste und etwas Heu. Die Kiste wird noch schnell zurechtgestutzt, auch ein Seil zum festmachen derselben darf nicht fehlen. Gestern habe ich mir den meiner Meinung nach idealen Nistplatz ausgesucht, eine kleine Höhle in der Felswand, sie müßte eigentlich von unten irgendwie erreichbar sein.

Vielleicht sollte ich erwähnen, daß ich vom Klettern, respektive Bergsteigen keine Ahnung habe: Ich mag Sport nicht besonders und schwindelfrei bin ich auch nicht. Die erste Lektion lernte ich bereits auf halbem Weg: Überprüfe Deine Ausrüstung bevor Du losgehst und nicht erst wenn Du sie brauchst… Die Steigeisen passen nicht, Mist! Naja, dann mußte es eben so gehen. Ich schulterte die Obstkiste, schnürte den Rucksack mit Heu hinten drauf und stieg los.

Das war nun keineswegs eine gewagte Sache, der Hang war zwar steil, aber wenn man abstürzte würde man maximal eine ordentliche Rutschpartie auf dem Hintern absolvieren. Wenn man sich nicht den Pickel ins Auge haut. Also beherzt losgeklettert, und nur nicht nach unten schauen. An diesem Punkt folgte Lektion 2: Von unten sieht es viel einfacher aus. Irgendwann muß man einfach nach unten schauen weil man keinen Tritt mehr bekommt und sich kleine Absätze aus dem Schiefer-Geröll-Schlick-Gemisch kratzen muß, um überhaupt weiterzukommen. So erreichte ich zwar etwas verkrampft aber immer noch wohlgemut die Felswand.

Diese vermeintlich hüfthohe Felswand, die ich mit links überklettern würde. Das ist allerdings alles eine Frage der Perspektive, hier oben sagt sie mir, daß das locker zwei Meter sind und ich garantiert zu Tode stürze oder mir doch wenigstens das Bein breche wenn ich jetzt einen falschen Tritt mache. Aber die Aussicht auf die Hügel und Wälder ist fürwahr nicht schlecht. Langsam werde ich trotz schöner Aussicht ungehalten: Ich will jetzt diese Kiste da oben festmachen, werde mich doch nicht von meinem verkümmerten Gleichgewichtssinn daran hindern lassen! Und freeclimbing fand ich schon lange faszinierend, jedenfalls aus der Ameisenperspektive. „Gute Übung für den inneren Schweinehund“ sage ich leise zu mir und beginne in die Senkrechte zu gehen. Nachdem ich die ersten Zentimeter erklommen hatte wurde mir allerdings schnell klar, daß das mit dem Schweinehund eine, und mit dem abbröckelnden Kalkgestein eine ganz andere Sache ist. Keine Chance den Gipfel auf diese Weise zu erklimmen. Aber so schnell gebe ich dann doch nicht auf, versuche ich’s einfach noch mal ein paar Meter weiter links von mir. Wieder Fehlanzeige! Ich werde langsam richtig sauer, dieser lächerliche Schutthügel muß sich doch irgendwie bezwingen lassen!! Also umdisponieren, wiederum einige Meter links von mir (einige Meter heißt mindestens eine Viertelstunde lang Löcher in den Berg klopfen)könnte man eventuell mit etwas Glück eine Wurzel zu fassen bekommen die von den Bäumen oben durch den Fels gewachsen ist. Daran würde sich ein wahrer Kletterer hochhangeln und vielleicht unter Umständen die Kiste von oben in die auserwählte Felsnische bugsieren können.

Zur Verwirklichung dieser verwegenen Idee kam es allerdings dann doch nicht mehr. Mir fiel die plötzlich ansteigende Frequenz an Schmeissfliegen auf. Eher ungewöhnlich in solchen Höhen, sind ja eigentlich nur da wo was verrottet. Oder wo Kacke ist. Junguhukacke zum Beispiel. Grandios! Alle Mühen und Mißerfolge auf einen Schlag vergessen, ich hatte das Nest gefunden, genau dort drüben wo ich eigentlich die Wurzel erklimmen wollte! Nest ist allerdings etwas übertrieben, man muß sich eigentlich nicht wundern, daß die Uhus am Aussterben sind. Daß ein Vogel, der seine Jungen auf einem serviertablettgrossen Felsvorsprung ihrem Schicksal überläßt, überhaupt Nachwuchs aufgezogen bekommt grenzt schon an ein Wunder. Ohne Dach über dem Kopf, allen Unbilden der Witterung ausgesetzt und noch nicht mal einen Rand, der sie ein wenig vor Absturz oder Freitod bewahren würde. Nun ja, ich mische mich prinzipiell nicht in die Kindererziehung anderer Leute ein. Jedenfalls war jetzt klar wo mein Uhu hin sollte und ich war ziemlich erleichtert.

Es galt nur noch festzustellen, ob die Schmeissfliegen den toten Geschwistern oder nur deren Exkrementen galten. Also so weit wie möglich am Hang langgekraxelt, fast schon in Griffweite konnte ich einen zweiten Federklumpen im Nistplatz erspähen. Was tun? Ich kam einfach nicht näher dran. Er schien zu atmen. Will ja nix heißen, vielleicht ist er schon zu schwach, um sich zu bewegen? Meiner gibt wenigstens ein katzenartiges Fauchen von sich wenn er sich bedroht fühlt. Also bedrohe ich das Federknäuel indem ich es mit kleinen Matschklümpchen bewerfe. Keine Reaktion. Es hilft alles nichts, ich muß rüber. So langsam wird mir mulmig bei der ganzen Sache, wieso sind die Eltern nicht im Nest? Die werden doch wohl nicht hier irgendwo rumsitzen und darauf warten, daß es einen Fiesling in die Flucht zu schlagen gilt? Ich möchte wahrlich keine Bekanntschaft mit ihren Greifern machen, müßten in etwa dolchartige Wirkung an meiner Schulter zeigen. Also los, so kurz vor dem Ziel wird nicht aufgegeben: Vor dem Nistplatz ist ein kleiner Sims auf dem mein linker Wanderstiefel eventuell Fuß fassen kann. Entweder es hält oder es hält nicht – Sie haben einen Versuch, und zwar jetzt!! Den Pickel oben in die Wand geknallt, gleichzeitig ein beherzter Schritt und siehe da: Es hält!

Mit meiner freien Hand greife ich den Junguhu, dieser kleine Blödmann hat einfach seinen Kopf in eine Felsspalte gesteckt (stammen die von Straußen ab?) und mich geflissentlich ignoriert. Er begrüßt mich nunmehr mit einem unfreundlichen Fauchen und ich bin sehr zufrieden. Jetzt kann es runtergehen, zurück zum Wagen um die andere Pfeife aus ihrem Katzenkäfigdasein zu befreien. Doch da naht mit großen Schritten Lektion 3: Rauf ist einfacher als runter. Mir ist eine Zeit lang unklar, wie ich mein linkes Bein wieder zurückbekommen soll, gleichzeitig die Pickelhand wechseln und mit dem anderen Bein nicht den Halt verlieren… Vorsichtshalber werfe ich mal die Obstkiste mitsamt dem Rucksack ab, sie bekommt einen unangenehm beeindruckenden Schwung auf ihrem Weg in den Wald.

Noch unangenehmer ist allerdings der Krampf, der sich in meinem rechten Bein beginnt auszubreiten. Eigentlich ist es ganz einfach, ich müßte nur loslassen, kann ja nichts passieren, ist ja nur eine Rutsche für große Jungs. So muß das Gefühl sein, das man auf dem 10-Meter-Brett hat, denke ich bei mir. Ich werde ganz bestimmt nie auf ein 10-Meter-Brett klettern. Meine Wade findet, daß es jetzt wirklich an der Zeit sei mit dem Philosophieren aufzuhören und etwas zu tun, ich lockere also den Pickel und ward umgehend jeder weiteren Entscheidung enthoben – der Sims unter meinem linken Stiefel machte sich von dannen. Damit auch der Tritt unter dem rechten. Den Pickel weit von mir werfend konnte ich eben noch einen frontalen Kontakt der Baumwurzel mit meinen allerempfindlichsten Körperteilen vermeiden und schon ging die Rutschpartie los. An sich gar nicht so schlecht wenn man den Absprung erstmal hinter sich hat. Das Bremsen am Ende bereitet allerdings etwas Mühe, eine schieferschlammgefüllte Senke kann da ungemein weiterhelfen.

Alles weitere war quasi Routine: Pickel, Steigeisen und das restliche Sammelsurium zusammengesucht, durch die Matsche zurück zum Auto, den Uhu unter Protest in den Rucksack gestopft und wieder nach oben. Ich kannte den Weg ja nun, nur vermißte ich doch etwas den Sims für den linken Stiefel. Ein gelungener Uhu-Zielwurf löste das Problem. Tja, da saßen sie nun die beiden Helden. Ich war durchaus sehr zufrieden mit dem Resultat, ermahnte sie nochmals eindrücklich das Nest nicht wieder zu verlassen, genoß die herrliche Aussicht und bedauerte ein wenig, daß die Selbstgedrehte wohl nicht zum wahren Naturforscher und seinem Uhunest paßt. Auf dem Abstieg kam ich immerhin schon zwei Schritte weiter als beim ersten Mal, was mir das Umschiffen der Emaskulatorwurzel ersparte. Voll mit Dreck bis über beide Ohren trat ich den Heimweg an.

Epilog

Natürlich ließ mir das Wohlergehen der Uhus keine Ruhe. Das Klima ließ so recht keine nächtlichen Waldausflüge mehr zu und unser Beruf erfordert ja meist auch ein gewisses Maß an Nachtruhe. Also kletterte ich einige Tage später nochmals nach oben (die Blödmänner machten wieder mal keinen Mucks, so daß ich wirklich ganz nach oben mußte!) und siehe: Alles war gut! Mittlerweile interessieren sich auch die Naturschutzbehörde und einige Wildvogelleute für den Nistplatz, so daß ich hoffe, daß mein Uhu noch viele kleine Uhus zeugen wird. Denn es war ein „Er“, er hatte nur die KLEINEN Greifer, schluck…